Exkursion Natzweiler-Struthof

01.05.1941. Natzweiler-Struthof.

In einem Wander- und Skigebiet nahe Straßburg eröffnet neben Gasthof und Aussichtsidylle ein Konzentrationslager. Die ersten Insassen werden aus dem KZ Sachsenhausen stammen. 300 Deportierte für den Erbau des Lagers und der Zufahrtsstraßen. 52.000 werden folgen, die Hälfte wird sterben. [1]

10.07.2023. Natzweiler-Struthof. Mehr als zehn Minuten quält sich der mit den Klassen GGJ1 und BTGJ11 besetzte Bus die Rue des Déportés hoch. Straße der Deportierten. Zu Fuß hätte man laut Google Maps vom Bahnhof aus mindestens 1h20min gebraucht; 4,4 km bei 451 Höhenmetern.

Am ehemaligen KZ angekommen, gibt Boran (GGJ1) eine kurze Einführung. Die eben beschriebene Strecke liefen die Deportierten, nach stunden- bis tagelanger Zugfahrt hier hinaufgetrieben, sodass sich die Menschen teilweise gegenseitig trugen. Oder starben: noch vor den Toren des KZs.

Es wirkt unwirklich, diesen Ort zu betreten. Die Dinge zu grausam, als dass sie wahr sein könnten. Im KZ wurden die Menschen gezielt unterernährt. Brot und Suppe. Viel mehr gab es nicht, manchmal nicht einmal das. Verteilt wurde das Essen in großen Töpfen. Damit die Insassen stolperten, waren die Stufen unregelmäßig angeordnet. Sie sollten mit den Töpfen stolpern, vor und nach dem Appell, wenn sie von Unterernährung und harter Arbeit entkräftet versuchten zu laufen.

Wir gehen weiter – am Zaun entlang zum Gefängnis. Stacheldrahtzaun, zweireihig gespannt, dazwischen die Todeszone. Wachtürme sorgten mit Flutlicht selbst in der Nacht für eine lückenlose Überwachung. Der innere Drahtzaun stand unter Hochspannung. Einige Insassen warfen sich dagegen, in der Hoffnung, zu sterben.

Andere warteten im Gefängnis darauf. Oft monatelang, erklärt Boran bei der Gefängnisbaracke. Die einzelnen Zellen sind recht groß. Es gibt Toiletten, Nischen zum Heizen. In eine Zelle passen dreißig Insassen, die Toiletten sind für die SS-Männer und die Nischen wurden nie verwendet. Es wirkt bedrückend, durch die Gänge zu streifen, beim Vorbeigehen Blicke in die Räume zu werfen, in denen sich die Insassen eng an eng drängten. Manchmal starben die Menschen, erklärt Boran. Andere brachen.

Im Krematorium daneben wurden die Menschen verbrannt. Noch im selben Gebäude befindet sich ein Seziertisch. Lang und schmal, innen mit einer Kuhle versehen, von Fließen ausgekleidet. Die Nazis experimentieren hier an Menschen, sezierten sie und verwendeten ihre Knochen für Sammlungen.

Was hier passiert ist, war grausam. Das wird beim Betreten der zum Museum umfunktionierten Baracke nur allzu deutlich. Augenzeugenberichte erzählen von der schweren Arbeit im Steinbruch, malen ausgemergelte Bilder an die Wände und sprechen in Aufsätzen darüber, was sie mit viel Geld tun würden. Haus in der Idylle und Menschen unterschiedlicher Nationen bei sich aufnehmen, damit diese leben können. Gut leben.

Wir verlassen das Museum, betreten den angrenzenden Friedhof. Kreuz an Kreuz an Grabstein erinnert man an die Toten des KZ‘. Die meisten Schilder sind beschriftet, dazwischen immer wieder derselbe Name: Anonym. Die Menschen, die dort begraben liegen, sind Unbekannte. Niemand weiß, wer sie sind, wer sie waren, sie selbst verwischt im Grauen KZ. Ein vierzig Meter hohes Denkmal soll an die Toten hier erinnern, an die, die es trotz brutalster Umstände schafften, zu überleben, soll mahnen – nie wieder.

Ein besonders grausames Beispiel für das Treiben im KZ-Natzweiler-Struthof befindet sich unterhalb der eigentlichen Gedenkstätte. Eine Gaskammer. Zu Forschungszwecken an Menschen. Mit Phosphorgas, mit Schreien und Menschen, die sich in den Kammern gegenseitig beim Sterben zusahen. Phosphorsäure ist stark ätzend. Den Menschen wurde die Lunge am lebendigen Leib zersetzt.

Strasbourg. Die Exkursion endet mit kurzem Stadtbummel, Essengehen und Lebenkönnen. Gut leben. In vielen Religionen – wie dem Christentum, Judentum oder Islam – sprechen die Menschen von einem Himmel, einem Paradies, in das sie kommen werden, wenn sie sterben. Ich denke, wir leben bereits im Himmel. Im Vergleich zum KZ Natzweiler-Struthof ist das hier definitiv ein Paradies.

Salome Stuck, BTGJ11

2023 07 14 Foto Natzweiler Struthof 720
Die Schüler*innen der BTGJ11 und GGJ11 mit ihren Lehrer*innen: Steffen Maisch und Regina Strobel-Koop

 

[1] KZ Natzweiler mit Außenlagern