Vortrag des Nazi-Aussteigers Philip Schlaffer an der KKS 

13.02.2023, Bruchsal. Er stehe hier als Täter, erklärt ehemaliger Neo-Nazi und Rotlicht-Rocker Philip Schlaffer vor der gefüllten Aula der KKS.

Das, was er gemacht habe, sei falsch gewesen, das wisse er jetzt. Er habe gehasst, Hass verbreitet und dabei vor allem gelernt, wie einfach es ist, Hass in die Köpfe der Menschen zu pflanzen. Deswegen sei es wichtig, darüber zu sprechen, aufzuklären und wenn möglich Radikalisierung zu verhindern. 

Philip Schlaffer ist heute Antigewalt- und Deradikalisierungstrainer, redet an Schulen darüber, wie man zum Neo-Nazi wird. Und darüber, wie man aus der rechten Szene wieder aussteigt. Dabei ist vor allem um eines: dass die Schüler/innen mitreden, dass sie Fragen stellen und Philips Fragen beantworten. Letzten Endes ist es ein Monolog, der zum Dialog wird. Ob die Schüler/innen denn wüssten, was ein Neo-Nazi sei und ob sie das auch einem Kind erklären könnten.

Nähe zur Nazi-Ideologie im Dritten Reich. Bevorzugung des arischen Volkes. Ausgrenzung und Diskriminierung von Ausländern.

Das sei schon recht gut, aber so könne man Neo-Nazis doch keinem Kind erklären.

„Es geht um Rassismus“, fasst Philip später zusammen. „Ich war rassistisch, habe Menschen in Schubladen gesteckt“ und er habe sie danach behandelt, wie sie aussahen und welcher Nationalität sie angehörten. „Aber wie kam es dazu?“, und möchte die Antwort wieder von den Schülern und Schülerinnen haben.

Falsche Freunde, falsche Erziehung, fehlende Erziehung, zu wenig Bildung, Armut, schlechte Erfahrungen.

Philips Eltern waren beide berufstätig, Armut spielt keine Rolle, Bildung war wichtig. Die beiden Kinder sollten ihr Abitur machen und später studieren.

Als Philip zehn war, zog die Familie nach England, New-Castle. Der Anfang sei schwer gewesen. Englisch sprach er damals kaum, wurde als Nazi bezeichnet, weil Philip Deutscher war. Vier Jahre in England, in denen sich Philip eine neue Heimat aufbaute, mitsamt Freunden, Sprache, Identität. Danach die Rückkehr nach Deutschland. Seine Eltern hätten ihn dazu zwingen müssen, erklärt Philip. Er wäre Engländer geworden, in der Zeit in England, sprach schlecht Deutsch und die Freunde, die er hatte, die waren auch dort. In England. Der Notendurchschnitt sackte ab, damit auch die Anerkennung des Vaters.

Was er damals gemacht habe, fragt Philip die Schüler/innen.

Sich neue Freunde gesucht. Fußball gespielt. Sich angestrengt in der Schule. Rebelliert.

Rebelliert.

Vom Gymnasium runter auf die Realschule, abhängen mit Jugendlichen, die – so wie Philip – alles „scheiße“ fanden. Musik gehört, die das repräsentierte, was Philip empfand.

Die Musik wäre einer der Haupttreiber zur Radikalisierung gewesen. Unter anderem, weil Philip so etwas bekam, was er die letzten Jahre nicht bekommen hatte. Anerkennung. Wertschätzung. Dafür, dass er deutsch war und mit anderen diese Musik hörte. Damals war Philip fünfzehn. Mit sechzehn hing ein Hakenkreuz im Keller und im Haus eine Kalaschnikow.

Nach der Schule und einer Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann machte sich Philip selbstständig. Er wurde zu einem der führenden Produzenten von rechtsradikaler Musik in Deutschland und Europa. Gleichzeitig sammelte Philip Vorstrafen, erlebt insgesamt 25 Hausdurchsuchungen, zwei Sondereinsatzkommandos. Zwischendurch wechselte er die Stadt, wird vom Neo-Nazi zum rechtsextremen Rocker, gründete die Schwarze Schar und wurde von eigenen Kollegen im eigenen Haus überfallen und erpresst. 

Philip blendet ein Video ein. Eine Demonstration gegen Rechtsextremismus in Wismar. Männer in schwarzer Kleidung und rechtsextremen Symbolen auf den T-Shirts stehen vor einem Geschäft. Erst reden sie nur, dann brüllen sie gegen die Demonstranten an, dann haben sie Baseballschläger in der Hand. Philip mitten drin, als Bandenführer.

Zum puren Stress wurde das, erklärt er. „Wenn ein Marmeladenglas herunterfiel, dachte ich, es wäre ein Schuss“. In vorbeifahrenden Autos saßen Polizisten. Oder Mitglieder anderer Banden. Draußen war er nicht sicher, im eigenen Haus auch nicht. Da war ja eingebrochen worden und überhaupt, als Bandenchef durfte niemand sehen, dass man schwach war. Das Ganze führte zu Stress. Stress zu Migräne und Schlafproblemen.

„Ich kann nicht mehr“, hatte Philip zu seinen Kameraden gesagt und war gegangen.

„Wohin?“, fragt Philip die Schüler/innen.

Psychotherapie. Zur Familie.

„Die krebskranke Mutter ist in Chemo-Therapie und der missratene Sohn ruft an. ‚Mama. Ich glaub ich hab Scheiße gebaut.‘“.

Die Familie habe ihn aufgefangen. Trotz des jahrelangen Streits, trotz der Straftaten und Fehltritte, die Philip begangen hatte. Ins Gefängnis musste Philip dennoch einmal mehr. Zwei Jahre für strafrechtliche Vergehen, die er zuvor begangen habe. Danach Psychotherapie und heute hier. Aber das sei nicht einfach gewesen, erklärt Philip. Hineinzukommen in die Neo-Nazi- und Rocker-Szene sei einfach gewesen. Wieder herauszukommen nicht. Und das sei eigentlich alles, was er sagen wolle. Hass ist keine Lösung, Wertschätzung ist wichtig und schreibt bitte einmal einem Freund/einer Freundin, dass ihr sie mögt und gerne treffen würdet. „Was meint ihr, dass sie antworten werden?“

Dass wir uns treffen sollen. Dass sie mich auch mögen. Dass…

„Sie werden wahrscheinlich fragen, ob alles in Ordnung mit euch ist.“ Aber nein, Wertschätzung sei wichtig, wichtig gegen Gewalt und Radikalisierung. Er glaube daran, dass Jugendliche nicht zu Neo-Nazis werden, wenn sie in dem, was sie sind, respektiert werden, sagt Philip und beendet den Vortrag. 

Salome Stuck (BTGJ11)

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